Show don't tell
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Show don’t tell: Warum ist diese Schreibregel so wichtig?

»Show don’t tell« bedeutet übersetzt: Zeigen, nicht sagen. Die berühmte Schreibregel umfasst in bereits drei Wörtern ihre Definition. Sie lässt sich aber lange nicht so einfach anwenden, wie sie klingt.

»Show don’t tell« weist Autor:innen darauf hin, in ihrem Manuskript mehr zu beschreiben, als Gefühle einfach zu benennen.

Die Schreibregel ist ein Muss für die Filmbranche. Dort ist sie aber auch leichter anzuwenden, da bei Filmen und Serien mit Bildern gearbeitet wird, während Autor:innen die Bilder in den Köpfen ihrer Leserschaft erschaffen müssen. Und das ist das Ziel der »Show don’t tell«-Schreibregel: die Vorstellungskraft unserer Leserschaft entfachen.

Warum kann ich Gefühle nicht einfach beim Namen nennen?

Bei der »Show don’t tell«-Regel in Manuskripten gilt es, sich unserer Sinne zu bedienen. Die Beschreibung von Geruch, Geräuschen und Beobachtungen können gefühlvolle Atmosphären schaffen. Die Vorstellungskraft der Lesenden kannst du nur entfachen, wenn du die Dinge beschreibst, anstatt sie nur beim Namen zu nennen. 

Manchmal willst du deine Leserschaft zum Nachdenken bringen, an anderer Stelle willst du Emotionen auslösen. Wenn deine Leserschaft beim Lesen nichts empfindet, kannst du sie nicht halten. Wenn dir ein Charakter als lesende Person scheißegal ist, können die Geschehnisse noch so spannend sein, sie werden dich selten packen. Die Angst um eine Figur ist es, die die Spannung hochhält. Und um diese Angst zu empfinden, müssen wir ihre Gefühle nachvollziehen können.

Warum kann ich Gefühle mit der Schreibregel »Show don't tell« besser nachempfinden?

Eine bloße Benennung von Gefühlen ist lediglich eine vage Kategorisierung. Stell dir in einem Film folgende Situation mit diesen zwei unterschiedlichen Reaktionen vor:

Olga hat Rebecca gesagt, dass sie ihre Liebesbeziehung beenden möchte.

  1. Rebecca weint sofort los.
  2. Rebeccas Augen sind glasig, sie schluckt, fragt heiser: „Warum?“. Ihre Unterlippe zittert dabei und sie hält ihre Hand davor.

Welche Reaktion löst mehr Gefühle bei euch aus? Einfach, oder? Natürlich Nummer zwei. Es löst mehr Gefühle in uns aus, wenn Schauspielende nicht direkt ihre Trauer zur Schau stellen, sondern damit kämpfen, sie zurückzuhalten. Das liegt daran, dass die Situation spezifischer ist und jede:r von uns Momente kennt, in denen wir versucht haben, unsere Gefühle zu kontrollieren.

Bei Schauspielenden gilt also auch die »Show don’t tell«-Regel.

Übertragen sieht das in Manuskripten ähnlich aus.

Beispiel:

  1. Rebecca ist traurig und verzweifelt.
    „Warum?“, weint sie. „Warum jetzt?“.
  2. Rebecca schluckt und leckt sich über die Lippen. „Warum?“, fragt sie heiser und räuspert sich. „Warum jetzt?“
    Olga bemerkt das zarte Zittern ihrer Unterlippe, bevor Rebecca die Hand davor hält.

Nummer zwei löst mehr Gefühle aus, da die Traurigkeit und Verzweiflung gezeigt, anstatt gesagt wird. Show, don’t tell.

4 Gründe, warum »Show don't tell« mehr Gefühle auslöst

#1: Unterschiedliche Erfahrungen

Wir definieren Gefühle unterschiedlich. Das, was allgemein als „traurig“ bezeichnet wird ist für jeden von uns aufgrund eigener Erfahrungen anders. Deshalb brauchen wir eine genauere Beschreibung des Gefühls, um es nachempfinden und selbst einordnen zu können. Eine Person mit Depressionen kann als traurig bezeichnet werden. Eine mit Liebeskummer. Eine Person, die sich eine Gucci-Handtasche nicht leisten kann. Oder eine, die sich kein Essen leisten kann.

Die Nuancen, die Traurigkeit persönlich machen, sind es, in denen wir uns erkennen. Es gilt diese zu beschreiben.

#2: Interpretationsraum schafft Spannung

Laut psychologischen Studien finden Menschen etwas spannender, wenn sie weiterdenken müssen und ihnen nicht direkt die Lösung präsentiert wird.

Wenn du vorwegnimmst, dass deine Figur traurig ist, dann ist kein Raum mehr zur Interpretation übrig.

Liebst du es als Leser:in nicht auch größere Gefühle der Figur zu ertasten, anstatt dass sie dir vorgelegt werden?

#3: Die Schwäche des einzelnen Wortes

Im echten Leben können wir nicht immer große Gefühle einordnen. Wenn wir wütend sind, gibt es oft einen Grund dafür, warum wir wütend sind. Da ist das Wort Wut manchmal gar nicht ausreichend. So ein kleines Wort für so ein großes Gefühl erscheint dann schwach.

#4: Erleben aus der Perspektive einer Figur

Als Autor:innen wissen wir mehr als unsere Figuren. Wenn sie also in einer emotionalen Situation sind, tendieren wir dazu, ihre Gefühle schneller zu definieren, als die Figuren in diesem Moment dazu fähig sind. Wenn die Interpretation des:der Erzählenden das Gefühl vorwegnimmt, bevor die Figur selbst versteht, was in ihr vorgeht, nehmen wir der Leserschaft die Spannung dieser Selbsterforschung der Figur weg. Abgesehen davon könnte es je nach Erzählform ein Fehler in der Perspektive sein.

Die Schwierigkeiten von »Show don’t tell« in verschiedenen Erzählformen

Die neutrale Erzählform lebt von der »Show don’t tell«-Regel. Bei dieser Erzählform beschreiben wir, was wir sehen und dringen nicht in die Gefühlswelt unserer Charaktere ein, anders als bei der allwissenden Erzählform, wo wir Zugriff auf alle Gefühlswelten haben.

Die größten Schwierigkeiten kommen bei der personalen und bei der Ich-Erzählform auf, wo wir Zugriff auf die Gefühlswelt einer bestimmten Person haben. Behalte stets im Blick, dass die Figur, aus deren Sicht du schreibst, nicht so viel weiß, wie du als Autor:in, besonders wenn du in Präsens schreibst. Mitten in einem Gefühlsausbruch wird eine Person selten über die Emotionen reflektieren, die in diesem Moment in ihr aufkommen.

Außerdem: Wenn wir aus der Perspektive einer bestimmten Figur schreiben, in diesem Fall aus Olgas Perspektive, kann sie nicht wissen, ob Rebecca traurig ist, sondern es nur anhand ihrer Reaktion ablesen.

Wir können nur sagen: „Rebecca wirkt traurig.“

Und da wären wir wieder beim tieferen »Show don’t tell«: Wodurch wirkt Rebecca traurig? Sind es ihre hängenden Schultern? Ihre gesenkte Kopfhaltung?

Das wäre viel interessanter als die Benennung.

Wann ist die »Show don't tell«-Schreibregel unnötig?

So wie bei jeder Schreibregel kommt es auf die Situation an. Manchmal müssen wir etwas sagen, um etwas deutlich zu machen. Zu viel Beschreibung kann in solchen Situationen künstlich wirken oder unnötig. Das kommt häufig vor, wenn du zum Beispiel eine Figur bereits in ihrer Trauer beschrieben hast und nur kurz ihre Trauer aufgreifen willst. Dann musst du nicht noch einmal in den Beschreibungstopf greifen, wenn du dich daran schon bedient hast. Manchmal sind die Gefühle sogar eine Art „Reveal“, eine Enthüllung, bei der sich die Leserschaft in ihrer Vermutung oder Interpretation bestätigt fühlt.

Wie erkenne ich, wann die Schreibregel »Show don’t tell« nötig ist?

Leider kann ich dir hier keine allumfassende Regel nennen, dafür gilt zu häufig „Die Ausnahme ist die Regel“.

In der Filmbranche ist »Show don’t tell« eine der wichtigsten Regeln, die ich beim Drehbuchschreiben immer im Blick haben musste.

In Romanen gibt es mehr Ausnahmen, da wir uns oft direkt in der Gefühlswelt von Figuren befinden. Deshalb ist es schwierig, selbst einzuschätzen, wann wir zu viel gesagt und wann wir zu wenig gezeigt haben. Obwohl »Show don’t tell« zu meinen Steckenpferden gehört, bin ich mir bei meinen eigenen Texten auch manchmal unsicher, ob sie angebracht ist oder nicht, während ich es bei Fremdtexten sofort erkenne. Wir verlieren als Autor:innen oft den Blick dafür, was selbstverständlich ist, was die Lesenden bereits wissen und wieviel wir ihnen zutrauen können.

Im Stillektorat werden solche Formulierungen geprüft und Hinweise gegeben, wann du »Show don’t tell« anwenden solltest oder wann es zu viel Beschreibung ist.

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Ich bin Xenia - Autorin, zertifizierte Freie Lektorin, Social Media Expertin und Übersetzerin. Ich liebe es, Storys in allen Formen zu konsumieren, zu analysieren und zu erzählen - Bücher, Fotografie, Filme und Serien. Wenn du & ich zusammen arbeiten, sollst du dich wohl fühlen. Du kannst mir alle Fragen zu deiner Geschichte stellen - du befindest dich bei mir in einem Safe Space, einem Ort, an dem du dich sicher fühlen kannst. Aufgrund meiner jahrelangen, dramaturgischen Ausbildung ist mein Inhaltslektorat sehr intensiv - denn ich möchte dein Juwel mit dir schleifen. Gleichzeitig ist mein Lektorat aber auch sensibel - denn dein Juwel soll nicht zertrümmert werden.

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